Hallo!
Vielleicht kann mir jemand von Ihnen helfen...?? Lt. unserem Architekten sollte der Anbau an ein bereits bestehendes Wohnhaus Summe X kosten. Nun, mitten in der Bauphase (Rohbau ist fertig, Elektro und Sanitär usw. in Arbeit) stellt sich bereits heraus, dass die damals durch unseren Architekten genannten Baukosten tatsächlich wohl viel höher ausfallen - so ca. 30.000 EUR mehr (hier sind schon die Eigenleistungen rausgerechnet!!). Meiner Meinung nach dürfte soetwas aber doch nicht passieren oder? Hat jemand von Ihnen einen Rat, was jetzt, neben vermehrten Eigenleistungen, zu tun bzw. zu beachten wäre? So richtig wissen wir jetzt nicht weiter, weil es sich in Summe schon um eine Menge Geld handelt... Vielleicht weiß jemand von Ihnen Rat??

Hallo ashanti,

Baukostenüberschreitungen beim Bauen im Bestand sind immer ein heikles Thema. Nicht immer hat der Architekt in einem wie von Ihnen beschriebenen Fall einen Fehler gemacht.
Ich schreibe Ihnen einmal ein paar Gesichtspunkte auf, anhand derer Sie einmal schauen könnten, ob sie bei Ihnen zutreffen:

1. Risiko des Bestands
Manche Leistungen können erst genau bestimmt und damit korrekt bepreist werden, nachdem Bauteile freigelegt wurden. Hat Ihr Architekt gut gearbeitet, dann hat er Sie zusammen mit der Schätzung darauf hingewiesen, auf welchen Annahmen die Schätzung beruhte. Gelegentlich wurde z.B. früher nicht nach den Plänen in der Bauakte gebaut, was erst beim Aufgraben des Gebäudes dann ersichtlich wird.

2. Zeitfaktor
Es ist nicht unüblich, daß die Bauherrschaft möchte, daß die Ausschreibungen 'rollend' nach und nach erfolgen, damit auf der Baustelle früher begonnen werden kann. Dies kann man (im Bestand in Grenzen) vermeiden, indem man mehr Planungs- und Vorlaufzeit vor Beginn der Bauarbeiten vorsieht. Ihr Architekt berät Sie im Idealfall auch hier über die Vor- und Nachteile.

3. Baupreise, Konjunktur
Es gab bei einigen Baustoffen in den letzten Monaten teilweise erhebliche, nicht vorhersehbare Preiserhöhungen; z.B. bei Glas um 30% und bei Dämmstoffen um 20-30%.

4. Wünsche der Bauherrschaft
Haben Sie nach Vorlage der Kostenschätzung (die, die jetzt nicht mehr stimmt) noch als Bauherr in die Planung eingegriffen ("können wir das noch mitmachen, wo wir schon dabei sind" ) ? Wenn ja, dann müsste doch klar sein, daß die Kosten hierfür nicht in der Schätzung enthalten sein konnten. Weiterhin ist gerade im Bereich Sanitär/Elektro der tatsächlich gewünschte Ausstattungsstandard sehr kostenbeeinflussend. Es kommt vor, daß der Architekt angewiesen wird, z.B. für die Sanitärkeramik oder die Fliesen 'normalen Standard' vorzusehen (das sind dann 'Hausmarken' des Sanitärgroßhändlers, die Ihren Zweck erfüllen), aber dann die Bauherrschaft nach dem Besuch einer Ausstellung doch schönere (und teurere) Objekte haben möchte. Auch hier wären die Mehrkosten dann von Ihnen zu verantworten.

5. Ausreizung Ihres Budgets
Bei Bestandsbauten raten wir immer dazu, nicht das ganze Budget von vorneherein auszunutzen, da eigentlich fast immer Unvorhergesehenes eintreten kann. Ein konkretes Beispiel wäre: der Bauherr hat 100.000 Euro und eine Reihe von Maßnahmen vor. Wir schätzen für jede Maßnahme einen Preis, und dann legen wir gemeinsam fest, welche der Maßnahmen wir in Angriff nehmen. Je nach Risikobereitschaft des Bauherren und seinen Möglichkeiten würde man dann z.B. Maßnahmen zur Realisierung auswählen, die mit 90.000 Euro geschätzt sind.

6. Ausschreibungstechnik/Nachträge
Ohne hier ins Detail zu gehen, kann die Art der Ausschreibung wesentlich mit dafür verantwortlich sein, wie sehr 'geplant' sich die Kosten während der Bauphase im Vergleich zum Ausschreibungsergebnis entwickeln.

Bleibt nun die Frage: wann kann der Architekt für die Mehrkosten verantwortlich sein? Eigentlich nur dann, wenn er die Schätzung 'schlampig' erstellt hat, also ganze Maßnahmen, die von vorneherein geplant waren, vergessen hat. Ob das bei Ihnen der Fall ist, vermag ich nicht zu sagen. An dieser Stelle vielleicht der Hinweis, daß der Architekt Baukosten nur schätzt, nicht 'macht'.

Ich würde Ihnen folgendes raten: besprechen Sie mit Ihrem Architekt Ihre Situation offen. Bitte Sie ihn, die verbleibenden Maßnahmen so aufzugliedern, daß man evtl. noch welche weglassen kann - am besten in einer übersichtlichen Tabelle, die für alle Teilmaßnahmen die folgenden Informationen enthält: Schätzung EUR, Ausschreibungsergebnis EUR, beauftragt EUR, Nachträge EUR, ausgeführt in %, Gezahlt EUR. (Es gibt hierfür wunderbare EDV-Programme für Architekten). So werden Sie erstmal in die Lage versetzt, wo genau Sie kostenmäßig eigentlich stehen und wie eine aktuelle Prognose aussieht.
Wie, ob und wo das möglich ist, hängt natürlich stark von Ihrem derzeitigen Baustand ab. Wenn noch nicht alle Arbeiten ausgeschrieben sind, kann es auch sinnvoll sein, ein Ausführungsmoratorium einzulegen und zuerst mal den Rest der Arbeiten auszuschreiben und die Ergebnisse abzuwarten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen hier etwas helfen und wünsche Ihnen, daß Sie aus Ihrer Situation des Beste machen können.

Viele Grüße,
R. Kürbitz, freier Architekt