Zielfindungsphase und Kündigungsvergütung

Zielfindungsphase kann Kündigungsvergütung beschränken!

BGH, Urteil vom 17.11.2022, Az.: VII ZR 862/21: Zielfindungsphase kann die Kündigungsvergütung bei freier Auftraggeberkündigung beschränken

Für alle ab dem 01.01.2018 abgeschlossenen Architekten- und Ingenieurverträge ist in § 650p Abs. 2 BGB vorgesehene Zielfindungsphase mit dem sich aus § 650r BGB ergebenden Sonderkündigungsrecht zu beachten. § 650p Abs. 2 BGB lautet wie folgt: 

Soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, hat der Unternehmer zunächst eine Planungsgrundlage zur Ermittlung dieser Ziele zu erstellen. Er legt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung für das Vorhaben zur Zustimmung vor.

Wie die Zielfindungsphase konkret ausgestaltet ist und was unter einer “Planungsgrundlage” und einer “Kosteneinschätzung” zu verstehen ist, wird kontrovers diskutiert. Rechtsprechung gibt es hierzu bislang nicht.

Mit der Zielfindungsphase geht das Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers in § 650r Abs. 1 BGB einher. § 650r Abs. 1 BGB lautet wie folgt:

Nach Vorlage von Unterlagen gemäß § 650p Absatz 2 kann der Besteller den Vertrag kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt zwei Wochen nach Vorlage der Unterlagen, ….

Die Vergütung des Architekten oder Ingenieurs ergibt sich dann aus § 650r Abs. 3 BGB, der wie folgt lautet:

Wird der Vertrag nach den Absätzen 1 oder 2 gekündigt, ist der Unternehmer nur berechtigt, die Vergütung zu verlangen, die auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen entfällt.

Den vollständigen BGB-Text finden Sie hier auf unserer Internetseite!

Sachverhalt

Ein TGA-Ingenieurbüro (Klägerin) schließt einen schriftlichen Ingenieurvertrag über die Leistungsphasen 1 bis 5 für den Neubau eines Bürogebäudes mit Industrie- und Lagerhalle zu einem Pauschalhonorar von 39.473,68 Euro. In der Folge wurden Planungsunterlagen an den Auftraggeber (Beklagte) übergeben, der eine Honorarabschlagsrechnung über einen Betrag von 9.520 Euro ausglich. 

Im Anschluss an verschiedene Beanstandungen der Planungsleistungen und einen darüber geführten Mailverkehr kündigte die Beklagte unter Bezugnahme auf den vorausgegangenen Mailverkehr den Vertrag fristlos. 

Die Klägerin errechnet für überwiegend erbrachte Leistungen der Leistungsphase 2 einen Honoraranspruch von 7.818,79 Euro und verlangt unter Abzug des danach verbleibenden Rests der Abschlagszahlung (9.520 Euro – 7.818,79 Euro) nunmehr noch für nicht erbrachte Leistungen bis einschließlich Leistungsphase 5 eine Restvergütung von 18.193,52 Euro.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat zunächst festgestellt, dass bei dem hiesigen Vertragsverhältnis nicht bereits alle wesentlichen Planungsziele im Sinne von § 650p Abs. 2 Satz 1 BGB vereinbart worden sind. Insofern liegt hier ein Fall vor, in dem die Zielfindungsphase anzuwenden ist.

 

Der BGH hat entschieden, dass die Beklagte Auftraggeberin im Zeitpunkt ihrer Kündigung kein Kündigungsrecht nach § 650r Abs. 1 BGB hatte, weil das Kündigungsrecht erst “nach Vorlage von Unterlagen gemäß § 650p Absatz 2” BGB und nicht schon “bis zur Vorlage” dieser Unterlagen (Planungsgrundlage mit Kosteneinschätzung) besteht.

 

Da keine wichtigen Kündigungsgründe gem. § 648a BGB für die Beklagte vorlagen, hat der BGH die von der Beklagten erklärte Kündigung als (freie) Kündigung gemäß § 648 BGB gewertet. Jedoch hat er der Klägerin nicht die sich aus § 648 BGB ergebende Vergütung (volle vertraglich vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen und abzüglich eines etwaigen anderweitigen Erwerbs) zugesprochen. Bei der Beurteilung der Höhe der vereinbarten Vergütung im Sinne von § 648 Satz 2 BGB dürfen nicht diejenigen nicht erbrachten Leistungen der Klägerin berücksichtigt werden, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären. Die im Sinne von § 648 Satz 2 BGB vereinbarte Vergütung betrifft hinsichtlich der nicht erbrachten Leistungen nur solche, für die ohne die Kündigung voraussichtlich eine Vergütung verdient worden wäre. Das ergibt sich aus dem Sinn von § 648 Satz 2 BGB, der als Ausgleich für die freie Lösungsmöglichkeit des Bestellers vom Vertrag verhindern will, dass dem Unternehmer Vorteile aus dem geschlossenen Vertrag genommen werden, ihm jedoch nicht ermöglichen soll, aus der Kündigung Vorteile zu ziehen.

Der Leitsatz aus dem Urteil des BGH vom 17.11.2022 (VII ZR 862/21) lautet wie folgt:

Bei der Kündigung eines Architekten- oder Ingenieurvertrags gem. § 648 Satz 1 BGB durch einen Besteller, dem bei weiterer Durchführung des Vertrags ein Sonderkündigungsrecht gem. § 650r Abs. 1 BGB zugestanden hätte, umfasst der Anspruch gem. § 648 Satz 2 BGB hinsichtlich nicht erbrachter Leistungen grundsätzlich nicht die Vergütung für Leistungen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gem. § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil hat eine enorme praktische Bedeutung. In vielen Fällen wissen die Vertragsparteien noch nicht einmal, dass in ihrem Vertragsverhältnis die gesetzlich vorgesehene Zielfindungsphase mit einem gesetzlichen Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers, auf das der Planer gegenüber Verbrauchern gesondert hinzuweisen hat, einschlägig ist. Damit muss der Auftraggeber den Vertrag nicht in jedem Fall vollständig (über die Zielfindungsphase hinaus) durchführen.

Im Falle der freien Kündigung ist das Risiko des Auftraggebers in diesen Fällen beschränkt. Oft wird die gesetzliche Regelung in § 650p Abs. 2 in Verbindung mit § 650r BGB erst bei Streitigkeiten der Vertragsparteien nach entsprechender anwaltlicher Beratung mit erheblichen negativen Honorarfolgen für die Planer, deren Honoraransprüche dann auf die erbrachten Leistungen nur für die Zielfindungsphase beschränkt bleiben, angeführt.

Architekten und Ingenieure müssen ihren Auftraggebern sowohl die Planungsgrundlage als auch die Kosteneinschätzung vorlegen. Eine von beiden Unterlagen allein reicht nicht aus. Ebenso wenig können diese Unterlagen durch  mündliche Erläuterungen ersetzt werden. Das Kündigungsrecht des Auftraggebers entsteht erst, wenn beide Unterlagen (Planungsgrundlage mit Kosteneinschätzung) vorgelegt wurden.

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