Das Vergabeverfahren ist der formalisierte Prozess zur Auswahl eines Auftragnehmers für öffentliche Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträge. Es dient der transparenten, diskriminierungsfreien und wettbewerbsfördernden Vergabe öffentlicher Mittel.
Vergabeverfahren unterliegen in Deutschland und der EU strengen gesetzlichen Regelungen, die sicherstellen sollen, dass öffentliche Aufträge wirtschaftlich, fair und rechtssicher vergeben werden.
Rechtliche Grundlagen des Vergabeverfahrens
1. Gesetzliche Basis in Deutschland
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – §§ 97 ff.
- Definiert die Grundsätze der öffentlichen Vergabe: Transparenz, Gleichbehandlung, Wettbewerbsprinzip.
- Gilt für Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte.
Vergabeverordnung (VgV)
- Regelt die Vergabe von Dienstleistungs- und Lieferaufträgen.
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A)
- Spezifische Vorschriften für Bauaufträge.
- VOB/A Abschnitt 1: nationale Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte.
- VOB/A Abschnitt 2: europaweite Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte.
Sektorenverordnung (SektVO)
- Spezielle Regelungen für Vergaben in Energie-, Verkehrs- und Wasserwirtschaftssektoren.
Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV)
- Regelt die Vergabe von Betreiberkonzessionen.
2. EU-Rechtliche Grundlagen
EU-Vergaberichtlinien (2014/24/EU, 2014/25/EU)
- Harmonisieren die Vergabeverfahren in der EU.
- EU-weite Ausschreibungen sind verpflichtend ab Erreichen der EU-Schwellenwerte.
EU-Schwellenwerte 2024 (gültig bis 2025):
- Bauaufträge: ab 5.538.000 €.
- Liefer- und Dienstleistungsaufträge: ab 221.000 € für öffentliche Auftraggeber (Bund: 143.000 €).
- Sektorenauftraggeber (Energie, Verkehr, Wasser): ab 443.000 €.
Arten von Vergabeverfahren
1. Offenes Verfahren (EU-weit oder national)
- Jeder Interessent kann ein Angebot abgeben.
- Vergabe erfolgt nach objektiven, transparenten Kriterien.
- Häufigste Form bei Bauaufträgen nach VOB/A.
- Vorteile: Höchster Wettbewerb, transparente Preisbildung.
2. Nicht-offenes Verfahren (mit Teilnahmewettbewerb)
- Nur ausgewählte Bieter dürfen Angebote abgeben.
- Vorab findet ein Teilnahmewettbewerb statt.
- Geeignet für komplexe Projekte mit besonderen Anforderungen.
- Vorteile: Qualität der Bieter ist vorqualifiziert.
3. Verhandlungsverfahren (mit oder ohne Teilnahmewettbewerb)
- Vergabestelle verhandelt mit mehreren Bietern über Angebote.
- Einsatz, wenn der Auftrag nicht exakt beschrieben werden kann.
- Üblich bei technisch innovativen Projekten.
4. Wettbewerblicher Dialog
- Für besonders komplexe Aufträge, bei denen der Auftraggeber keine abschließende Lösung vorgeben kann.
- Bieter entwickeln in Zusammenarbeit mit der Vergabestelle Lösungsvorschläge.
- Typisch für Großprojekte im Hochbau oder Infrastrukturmaßnahmen.
5. Innovationspartnerschaft
- Für Entwicklung und anschließende Beschaffung innovativer Produkte oder Dienstleistungen.
- Auftraggeber schließt mit einem oder mehreren Unternehmen eine Partnerschaft zur gemeinsamen Entwicklung.
6. Direktvergabe (Freihändige Vergabe oder Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb)
- Nur in Ausnahmefällen erlaubt, z. B. bei
- besonderer Eilbedürftigkeit (Katastrophenschutz, Notmaßnahmen),
- Fehlen eines echten Wettbewerbs,
- spezialisierten Leistungen mit nur einem geeigneten Anbieter.
Ablauf eines Vergabeverfahrens
1. Bekanntmachung und Vorbereitung
- Öffentliche Ausschreibung auf Vergabeplattformen (e-Vergabe, TED, bi-medien, Subreport).
- Erstellung von Vergabeunterlagen, Leistungsverzeichnissen und Eignungskriterien.
2. Angebotsphase
- Bieter reichen ihre Angebote ein, unter Einhaltung der Fristen.
- Prüfung der formalen Anforderungen (z. B. vollständige Unterlagen, Eignungsnachweise).
3. Angebotswertung
- Prüfung auf Eignung und Wirtschaftlichkeit anhand festgelegter Kriterien (Preis, Qualität, Nachhaltigkeit).
- Nach VOB/A: Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot (nicht zwingend das billigste).
- Falls erforderlich: Verhandlungen oder Bieterfragen klären.
4. Zuschlagserteilung und Vertragsschluss
- Erteilung des Zuschlags an den wirtschaftlichsten Bieter.
- Veröffentlichung der Vergabeentscheidung (bei EU-Verfahren).
- Vertragsschluss und ggf. Nachprüfungsfristen beachten.
5. Nachprüfungsverfahren
- Unterlegene Bieter können Vergabeentscheidungen anfechten.
- Nachprüfungsinstanzen:
- Vergabekammern der Länder oder des Bundes.
- Oberlandesgerichte als zweite Instanz.
Vergabeverfahren in der Praxis – Beispiele
Vergabe eines Schulneubaus
- Offenes Verfahren nach VOB/A.
- Kriterien: Preis (60 %), Nachhaltigkeit (20 %), Bauzeit (20 %).
- 10 Bieter geben Angebote ab, das wirtschaftlichste Angebot erhält den Zuschlag.
Ausschreibung für eine neue IT-Plattform für die Verwaltung
- Wettbewerblicher Dialog, da keine Standardlösung existiert.
- Unternehmen entwickeln gemeinsam mit dem Auftraggeber maßgeschneiderte IT-Lösung.
Sanierung einer denkmalgeschützten Brücke
- Nicht-offenes Verfahren, da Spezialkenntnisse erforderlich sind.
- Nur Unternehmen mit nachgewiesener Erfahrung in Denkmalsanierung dürfen teilnehmen.
Herausforderungen und Risiken bei Vergabeverfahren
- Fehlende oder fehlerhafte Vergabeunterlagen – führen zu Nachträgen und Rechtsstreitigkeiten.
- Unzulässige Zuschlagskriterien – können Vergabeverfahren anfechtbar machen.
- Unfaire Bevorzugung einzelner Bieter – verstößt gegen das Wettbewerbsprinzip.
- Zu lange Verfahrensdauern – Verzögerung von Bauprojekten oder Dienstleistungen.
- Fehlende Erfahrung der Vergabestelle – führt zu rechtlichen Problemen oder unwirtschaftlichen Entscheidungen.
Fazit zum Vergabeverfahren
- Vergabeverfahren sind gesetzlich geregelte Prozesse zur transparenten und fairen Vergabe öffentlicher Aufträge.
- Sie müssen wettbewerbsneutral, diskriminierungsfrei und wirtschaftlich erfolgen.
- Das gewählte Vergabeverfahren hängt von der Art des Auftrags und dem Auftragswert ab.
- Fehlerhafte oder unfaire Vergaben können rechtlich angefochten werden.
Tipp für die Praxis: Vergabestellen und Bieter sollten sich mit den rechtlichen Vorgaben und Verfahrensarten vertraut machen, um rechtssichere und wirtschaftliche Vergaben zu gewährleisten!